© Tatiana Lecomte

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  1. Playgrounds Serie von 6 C-Prints je 140 x 100 cm, 2000

    Playgrounds Serie von 6 C-Prints je 140 x 100 cm, 2000

    Playgrounds Serie von 6 C-Prints je 140 x 100 cm, 2000

    Playgrounds Serie von 6 C-Prints je 140 x 100 cm, 2000

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      Playgrounds Serie von 6 C-Prints je 140 x 100 cm, 2000

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    Hanno Millesi

    Spielfelder

     

    Es gibt zahlreiche Möglichkeiten Abschied zu nehmen. Eine besteht darin, eine ganz bestimmte Abwesenheit beharrlich als vorübergehend zu betrachten. Man gibt ihr das Aussehen eines provisorischen Zustandes, einer vorübergehenden Situation, die längst noch nicht in ihrem logisch nachvollziehbaren Endstadium, an ihrem ultimativen Schlusspunkt angelangt sein kann.

    Eine denkbare Strategie, die darauf hinausläuft, einer Abwesenheit ein vorübergehendes Aussehen zu verleihen, sieht vor, eine imaginäre Szenerie entstehen zu lassen, die offenbar nur noch auf ihren Hauptakteur wartet. Dieses Warten steht stellvertretend für das Ausharren der übrig Gebliebenen, ihre strikte Weigerung, als endgültig aufzufassen, was nach allgemeinem Verständnis, entsprechend jeder beliebigen Erinnerung oder Vernunft begabten Vision nicht mehr rückgängig zu machen ist.

    Alles ist so arrangiert, dass der Abwesende lediglich in die Situation treten, vom Himmel fallen oder mitten aus dem Erdreich heraus kriechen müsste, um den Details dieses Szenarios jenen Sinn zu verleihen, der vorläufig noch darin besteht, auf eben das Fehlen eines Protagonisten hinzuweisen. Die Fassungslosigkeit zu unterstreichen, mit der ein Fleckchen Erde auserkoren wurde, auf dem man seine Devotionalien so präsentiert, wie man es zuletzt gesehen hat, wie man es selbst für geeignet hält, denn ein Teil des Vermissten befindet sich schließlich oder zumindest der eigenen Meinung nach, in jenen, die hierher kommen um auf ihn zu warten. Und wenn nicht, dann entzündet die von Trauer und von Verständnislosigkeit getränkte Erde einen solchen Gedanken, spätestens, wenn man sich dabei beobachtet, wie man in den eigenen Erinnerungen stochert, im Repertoire einer lange zurückliegenden Zeit, die für jenen die einzige Zeitspanne geblieben ist und vorläufig bleiben wird.

    Ich kenne die Auswahlkriterien nicht. Mein Vorstellungsvermögen legt mir nahe, dass es sich ebenso um die persönlichen Habseligkeiten des Abhandengekommenen handelt wie um Gegenstände, deren Präsenz jenem Freude bereiten würde. Vielleicht möchte man ihn anlocken oder zumindest überzeugen, als läge es bis zu einem gewissen Grad auch an ihm, die Rückkehr aus der Unsichtbarkeit anzutreten. Liegt es tatsächlich an ihm? Hat er aus freien Stücken Reißaus genommen?

    Die Arrangements aus Kleinigkeiten formieren einen Widerstand gegen die Zeit, gegen ihren rücksichtslosen Verlauf, der keinerlei Korrekturen oder Eingriffsmöglichkeiten vorsieht, und gegen die vermeintliche Ungerechtigkeit, die dem einen, den es wirklich betroffen macht, widerfährt. Eine Verbindungstür in die Unmöglichkeit soll geöffnet bleiben, zumindest angelehnt, nicht verschlossen, denn vielleicht gelingt es den Hinterbliebenen irgendwann hindurchzuschlüpfen, wenn schon von der anderen Seite her keine Verfahrenswiederaufnahme möglich scheint. Sie bleiben jedenfalls hier sitzen, sie kehren immer wieder zurück und unternehmen vorläufig nichts, was so gedeutet werden könnte, als ob sie jene Wahnsinnigkeit, die sie in Momenten der Schwäche sogar als Ungerechtigkeit bezeichnen, zu akzeptieren bereit wären.

    Sie räumen damit ihrerseits dem Zeitablauf eine Chance ein umzukehren, eine Winzigkeit, die manchen alles bedeutet, rückgängig zu machen. Denn, wer hier abberufen wurde, hatte noch kein Recht auf ein eigenes, ein separates Verscheiden, war weder selbstständig noch alt genug, um sich mir nichts dir nichts in Luft oder Staub aufzulösen

    In diesem Alter hat man im Jenseits noch nichts zu suchen, denn für die jüngste Gerichtsverhandlung ist man rechtskräftig noch nicht alt genug, für das Sündenregister hatte man zu wenig Zeit, die weiße Weste geht einstweilen noch auf den Mangel an Gelegenheiten und eine völlige Unkenntnis der Wertvorstellungen zurück. Die liebenden Herzen der Zurückgebliebenen kultivieren eine Umgebung, die dem Abwesenden gewidmet ist, wie sie das die ganze Zeit über, auch als er noch hier war, verzweifelt versucht hatten. Genauso liebevoll, genauso ihren eigenen Ideen verpflichtet, mit demselben Hinweis auf einen natürlichen Zusammenhang, auf ein Verstehen hinter dem Begreifen, ein Nahefühlen trotz totaler Entfernung.

    Sobald ein willkürlicher Augenblick, beispielsweise aus der Perspektive des Objektives, sich einer solchen Szenerie und ihrem Hintergrund nähert, mag er den Aspekt festhalten, der ihm am meisten Rätsel aufgibt, der folgerichtig mehr über die Hinterbliebenen aussagt, als über die Abwesenden, auf die beständig gewartet wird. Steckbriefe, die im diskreten Blickwinkel der Fotografie anonym festgehalten werden, als Zeugen der Universalität einer unendlich bemitleidenswerten Individualität. Der Kult, der bis zum Exzess rückwärts getrieben wird, sich seiner archaischsten Formen besinnt: der Grabbeigabe, dem Wiederbeleben durch Sichtbarmachen, dem besinnungslosen Festhalten am Glauben etwas ginge weiter, was nicht mehr weitergeht. In diesen Fotografien mischt sich die rührende Apathie, die ein solcher Schicksalsschlag auszulösen imstande ist, von der man ins eigene Kindesalter, zumindest in eine Vorstellung davon zurückversetzt wird, mit dem verrückten Aufschrei, dessen Schrille darauf aufmerksam machen soll, dass hier keine Gerechtigkeit mit im Spiel gewesen sein kann. 

    Was wir sehen, was für unseren Blick zurückbleibt, ist der verzweifelte Versuch, ein Unverständnis fortdauern zu lassen, dem allmählichen Vergessen Gestalt zu verleihen, wie zu Lebzeiten die eigene Erinnerung abgebaut werden sollte.