© Tatiana Lecomte

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  1. She Was Covered With Autumn Leaves Serie von 6 C-Prints je 75 x 90 cm, 2001

    She Was Covered With Autumn Leaves Serie von 6 C-Prints je 75 x 90 cm, 2001

    She Was Covered With Autumn Leaves Serie von 6 C-Prints je 75 x 90 cm, 2001

    She Was Covered With Autumn Leaves Serie von 6 C-Prints je 75 x 90 cm, 2001

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      She Was Covered With Autumn Leaves Serie von 6 C-Prints je 75 x 90 cm, 2001

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    Maren Lübbke-Tidow

    Seit einigen Jahren nun beobachte ich die fotografische Arbeit von Tatiana Lecomte. Was mich an ihr zunächst am meisten beeindruckte, war ihr klarer und offener Blick auf die von ihr festgehaltenen Situationen - ohne dass sich beim ersten Hinsehen auf das Dargestellte auch gleich ein spezifischer Inhalt mitteilte. Die Arbeit kam höchst unprätentiös, fast beiläufig daher, setzte sich aber gleichzeitig auf merkwürdige Weise im Gedächtnis fest. Es schien, als gebe Lecomte mit ihren Arbeiten Rätsel auf, ohne aber selbst die Lösungen zu kennen bzw. zu ihrer Ergründung selbst in die Tiefen des Bildes einsteigen zu wollen, geschweige denn vom Betrachter diese Transferleistungen zu erwarten. Ich erinnere mich an Gespräche, in denen von Rückzug oder Zurückgezogenheit in eine private Sphäre gesprochen wurde, und von der (Un-) Zulässigkeit, den Betrachter mit diesen Arbeiten allein zu lassen. Es schien ein Mysterium auf ihnen zu lasten, ohne dass jemand auch nur eine Ahnung davon entwickeln konnte, worin dieses eigentlich hätte bestehen sollen. All das trifft insbesondere vor dem Hintergrund ihres kontinuierlichen und intensiven Arbeitens an Bildern nicht zu. Vielmehr entwickelt sich in ihrer Arbeit zunehmend - das heißt in der Zusammenschau ihrer verschiedenen Werkkomplexe - ein narrativer Faden, der zwar die ganze Arbeit zu durchlaufen scheint, der aber vom Betrachter selbst an beliebiger Stelle aufgenommen und im Gedankenspiel weiter durch die Arbeiten gelegt werden muss.

    Darüber hinaus nimmt sie mit ihrer Arbeit eine ausgewiesen fotografische Position ein, ein Umstand, der mir erwähnenswert erscheint, trifft man doch in Österreich heute kaum KünstlerInnen einer jüngeren Generation, die kontinuierlich mit der Kamera arbeiten und die Möglichkeiten des Mediums systematisch erforschen, durchspielen und sich bewusst aneignen. Es gibt in Österreich keine Schule für speziell fotografisches Arbeiten wie zum Beispiel die Klasse von Bernd und Hiller Becher in Düsseldorf, die eine ganze Generation von KünstlerInnen hervorgebracht hat, und mit ihr den Diskurs um das Fotografische im zeitgenössischen Kunstdiskurs wesentlich und nachhaltig geprägt hat. Die Ausbildungssituation in Österreich ist denkbar schlecht und mittlerweile stellt sich angesichts der Tatsache, dass es kaum mehr KünstlerInnen gibt, die sich nicht ganz selbstverständlich der Fotografie bedienen und diese als integrativen Bestandteil ihrer Arbeit begreifen, die Frage, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, dem Fotografischen an sich Bedeutung beizumessen und eine kritisch-diskursive, aber auch praxisorientierte Auseinandersetzung mit der Fotografie auf der Ebene der Ausbildung oder Vermittlung zu forcieren. Gerade im künstlerischen Produktionszusammenhang lösen sich die Genregrenzen immer mehr auf und eine Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst bedeutet heute immer auch, die Begriffe, mit denen wir operieren und die kategorialen Zuschreibungen, die wir RezipientInnen vornehmen, weit und medienunabhängig zu fassen. Künstlerische Verfahrensweisen werden zunehmend weniger auf der Ebene des (formalen) Umgangs mit einem Medium verhandelt - dem Genre selbst kommt eigentlich eine nur mehr marginale Bedeutung zu -, in den Vordergrund schieben sich viel mehr Fragen nach dem übergeordnetem konzeptionellem Zugang, nach der Methodik, mit der ein Thema angegangen wird. So bildet sich auch in dieser Zeitschrift ab, das die Grenzen des Genres und die mit ihnen verbundenen Bedeutungszuweisungen immer wieder neu verhandelt werden müssen.

    Dennoch bleibt es bemerkenswert, wenn man (speziell in Österreich) auf KünstlerInnen trifft, die sich so klar für ein Medium entschieden haben und über den Weg des Machens eine gewisse Nachhaltigkeit im künstlerischen Feld für sich beanspruchen können. Tatiana Lecomte gehört zu diesen Künstlerinnen, die einem Medium auf den Grund gehen wollen und in der Perfektion im Umgang mit ihm - ohne der Technik an sich einen erhöhten Stellenwert zuzuweisen - ihren Stoff durcharbeiten. Gleichwohl hat auch Tatiana Lecomte für ihre Themen verschiedene formale Lösungen erprobt. Ich erinnere mich an einen Korpus von Zeichnungen, der gleichberechtigt neben ihrer fotografischen Arbeit stand. Dennoch möchte ich behaupten, dass die Fotografie in Tatiana Lecomtes Werk inzwischen eine Eigenständigkeit für sich in Anspruch nehmen kann, die es erlaubt, von Aneignung im besten Wortsinn zu sprechen. Lecomte hat mit der Kamera eine ihr eigene Bildsprache entwickelt, die sich durch ihre gesamte Arbeit zieht.

    Das Spezifische an ihr scheint mir einerseits ihr zurückhaltend-distanzierter und vorgeblich unprätentiöser Blick auf die Dinge zu sein, mit dem sie teilweise alltägliche Situationen wiedergibt im Wissen darum, das da “noch mehr drin steckt” als die reine Abbildung. Sie möchte emotionale Beteiligung beim Betrachter evozieren, ohne Denkrichtungen vorzugeben und abgesicherte Meinungen oder gespeichertes Wissen abzurufen. Gleichzeitig aber hat sie ein gesteigertes Interesse, vielleicht aber auch nur ein intuitiv-sicheres Gespür für eine formal stimmige Umsetzung eines Bildes: In der Komposition überlässt sie kein Detail dem Zufall, greift dennoch nicht in Situationen ein bzw. provoziert diese. Es scheint, als warte sie einfach bis zum entscheidenden Augenblick, bevor sie den Auslöser betätigt - ohne vorher genaue Vorstellungen davon entwickelt zu haben, wie dieser bildwürdige Augenblick denn ausschauen könnte. Eine ausdauernde Arbeit. Ihre Fotografien zeichnen sich durch eine dichte Oberfläche und einen geschlossenen Bildraum aus.

    Lecomte fasst ihre Arbeiten zu Serien zusammen, bestehend aus drei bis maximal zehn Sujets. Mit äußerster Sorgfalt (und sparsamsten Mitteln) hat sie diese unter anderem zu Katalogen in kleiner Auflage editiert. In der Zusammenschau verdichtet sich nun das, was zunächst nur flüchtiger Eindruck blieb, immer mehr zu einem geschlossenen Bild. [...]

    Die Situationen sind zweideutig gehalten - die Bilder klagen nicht an, sie zeigen nicht auf, sondern sie deuten nur vorsichtig an und lassen uns allein und die Gedankenarbeit im Selbstlauf zurück. Dass über der Idylle immer auch ein Schrecken liegt, zeigen nicht zuletzt ihre Arbeiten, die in Japan entstanden sind. Ähnlich wie in Les Cabanes (2000), eine Serie von meist verriegelten Hütten in verlassenen Gegenden, fehlen hier die Menschen. Ihre Nächte (2000) sind im Dunkel der Nacht aufgenommen, nur schemenhaft erkennen wir situative Zusammenhänge, alle höchst banal, aber irgendwie doch auch unheimlich: Eine verlassene Straße im Schein der Straßenbeleuchtung, der Umriss eines Autos, eine Hütte im nachtschwarzem Wald, eine Straße im Scheinwerferlicht - ins Nirgendwo führend -, ein Wegesrand, ein imposantes, übermächtig groß erscheinendes Haus mit abweisender Fassade und Sicherheitszaun. Dann, in einer weiteren Serie wieder der Wechsel zu starkfarbigen, scheinbar idyllischen Bildern. Allein jedoch die Personalisierung im Titel ihrer Serie mit She Was Covered With Autuum Leaves (2000) lässt an Furchtbares denken und wir erinnern uns an Spaziergänge durch eine intakte Natur, bei denen wir aber doch auch das eine oder andere Mal daran gedacht haben, was sich an diesen so offenkundig unberührten Flecken Erde schon für Dramen abgespielt haben mögen. So folgen wir dem Weg mit den Augen - die Kamera ist ausschließlich auf den Wegesrand gerichtet - und durchsuchen die Fotos systematisch nach Spuren oder Hinweisen, mit denen sich eine Ahnung bestätigen könnte, wagen kaum den Blick auf das letzte Bild, wenngleich wir schon wissen, dass Lecomte nicht der Typ ist, der vorführt.

    in: Camera Austria International Nr. 78/2002