© Tatiana Lecomte

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  1. Wald 5 Serie von 6 C-Prints je 100 x 100 cm, 2004

    Wald 5 Serie von 6 C-Prints je 100 x 100 cm, 2004

    Wald 5 Serie von 6 C-Prints je 100 x 100 cm, 2004

    Wald 5 Serie von 6 C-Prints je 100 x 100 cm, 2004

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      Wald 5 Serie von 6 C-Prints je 100 x 100 cm, 2004

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    Melanie Ohnemus

    Die Arbeiten von Tatiana Lecomte haben etwas Rätselhaftes an sich. Zuerst erscheint sehr klar, was zu sehen ist – um dann sogleich auf mysteriöse Weise eben jenes vermeintlich Vertraute zum Aufhänger des Zweifels werden zu lassen. Doch worin nun das eigentlich Beunruhigende dieser Fotografien besteht, kann man nicht so recht verstehen. Etwas Unheimliches, noch nicht ergründet Verborgenes strahlt aus den Arbeiten Lecomtes. Erstaunlich, zumal der Großteil der Fotografien in der freien Natur entstehen. So erscheint etwa die Schwarzweiß-Serie Décomposition (2005) wie eine kriminologische Untersuchung des laubbefallenen Bodens eines Birkenwäldchens; (es sei darauf verwiesen, dass das Wort ‚décomposition’ im Französischen eines doppeldeutige Bedeutung hat: zum einen kann es ‚Aufgliederung’, zum anderen ‚Verwesung’ bedeuten). Der Blick scheint hastig hin und her zu gehen - die Bilder sind, durchbrochen von minimalen Verschiebungen, panoramatisch wie in einem Filmsschwenk aneinandergereiht. Dennoch ist nicht klar, was hier eigentlich gesucht wird. Ob hier überhaupt etwas zu suchen ist – es werden Assoziationen freigesetzt, die einem unergründlichen Faden folgend an unser kulturell codiertes visuelles inneres Archiv anklopfen und eine Erzählung aktivieren, die mit dem ‚Lesen’ des filmischen Streifens seine unbekannte Fortsetzung erfährt. Es wird etwas aktiviert. Formal lässt sich diese Lesart sicher teilweise über die spezielle fotografische Ausarbeitung erklären.

    Lecomte hat innerhalb der seriellen Abfolge leichte Verschiebungen vorgenommen, indem sie den Ausschnitt beispielsweise im unscharfen Teil oder über die Grenzen des Negativs hinaus in dessen schwarze Begrenzung hinein gewählt hat. So erscheinen die Anschlüsse an die folgenden Fotos teilweise als filmisch, schließen aber andererseits nie genau an das vorhergehende ‚Kader’ an, beziehungsweise brechen ganz mit der ‚filmischen’ Kontinuität. Das Gedächtnis, welches unbewusste Assoziationen und unbewusste Rekonstruktionsversuche umfasst, ist „unmöglich“, so Chris Marker, weil willentlich nur unvollkommen rekonstruierbar; ein Gedächtnis mit Lücken, über das der Mensch keine Macht hat. Das „unmögliche“ Gedächtnis setzt jedoch eine Arbeit an der Erinnerung voraus, die die Differenz zwischen der Chronologie historischer Daten und den individuellen und kollektiven Gedächtnisinhalten – in der die Bilder des Grauens eine Amnesie erfahren – in die historischen Rekonstruktionsversuche mit einbezieht. Das Spezifische an Lecomtes Arbeiten ist der scheinbare Widerspruch zwischen dem erhöht aufgeladenen Aussagewert, der sich in der Genauigkeit der Bildkomposition begründet, und der explizit uninszenatorischen, anlogen Vorgehensweise der Fotografin. Lecomte bezeichnet sich selbst als Suchende während der Arbeit – die Methode, nach der sie vorgeht, ist eine eher phänomenologische, subjektive Reflexion. Jedoch gelingt es ihr, das Gesuchte, oder vielmehr das Vermutete über die Auswahl des Bildausschnitts und der genauen technischen Ausführung der Fotografien für das betrachtende Auge zu transportieren. Das Unbehagen erzeugt sich nicht nur aus dem Abgebildeten, sondern auch aus der präzisen technischen Umsetzung der vorgegebenen Möglichkeiten. So nimmt etwa in der sechsteiligen Serie Wald 5 (2005) die Farbe Schwarz einen fast unmäßig großen Teil der Bildfläche ein. Man wird sagen: es ist nichts zu sehen. Doch das genaue Gegenteil ist der Fall: das was man zwischen dem Schwarz, das diesen Wald bis fast zur Gänze ‚unsichtbar’ werden lässt, aufsucht, um sich im Bild zu orientieren, wird zum Träger assoziativ verketteter Erinnerungsbilder. Rückstände von Märchenerzählungen, Verbrechen, Alpträumen oder allgemeiner: Metaphern des Unaussprechlichen finden in diesen Fotografien ihren Widerhall. So sei darauf hingewiesen, dass für Lacan den Ausgangspunkt für seine Untersuchung des Unheimlichen das „Bild vom Fehlen“ bildet. Dieses „Fehlen“ wird von dem alles überschattenden Schwarz repräsentiert – und nähert sich auf diese Weise dem vermeintlich größten ‚Konkurrenten’, der Malerei an. Und dennoch: gibt es nicht in dem, was wir nicht zu sehen meinen, ebensoviel Phantasie und Traumgebilde wie objektive Erkenntnis? Mehr noch, haben wir nicht eine subjektive Sympathie für das Unerträgliche, eine Empathie, die das von uns Gesehene durchdringt?

    Auszug aus dem Katalog der Ausstellung Reading in Abscence. Tatiana Lecomte, Romana Schmalisch, dreizehnzwei, Wien, 2006.