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Eröffnungsrede
Ingeborg Erhart
Meine erste Löwin, Meine fünfte Löwin, Mein erster Leopard, … Bildlegenden wie diese hat Tatiana Lecomte aus alten Büchern, die in den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhundert erschienen sind, übernommen und kombiniert diese unter anderem mit Diapositiven aus einem Nachlass von ihr unbekannten Personen. Es handelt sich wohl um die private Dokumentation einer Afrikareise, die vermutlich in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts stattgefunden hat. Als Doppelprojektion stellt die Künstlerin die neue Arbeit Meine erste Löwin, die auch ihrer Solopräsentation in der Neuen Galerie den Titel gibt, auf zwei Ebenen vor: als nur in der Reihenfolge arrangiertes Originalmaterial und als eine Art Bildessay, für den Tatiana Lecomte die gefundenen Dias analog reprofotografiert, Ausschnitte wählt, heranzoomt und durch andere Materialien wie Repros aus Büchern, die sie zum Thema recherchiert, oder Bilder aus ihrem Archiv ergänzt. Auch die Textebene ist „ausgeborgt“. Alle Zwischentitel, die in der Diainstallation vorkommen, sind aus unterschiedlichen Quellen abfotografiert worden und somit in ihrer Typografie unverändert. Assoziationen mit Stummfilmen oder alten Fotoalben sind nicht nur durch die vornehmliche Verwendung von Schwarz/Weiß von der Künstlerin intendiert.Bilder vom geheimnisvollen schwarzen Kontinent scheinen sich Jahrzehnte lang nicht zu verändern: z.B. barbusige schwarze Frauen, die Kopflasten tragen und/oder Kleinkinder an den Körper gebunden haben oder bewaffnete weiße GroßwildjägerInnen/ForscherInnen berühren ihre Beute, sitzen oder knien auf den toten Tieren. Der Forscher/die Forscherin wird als Eroberer, der Menschen, Tiere und Landschaft klassifiziert, archiviert, in Besitz nimmt, raubt, interpretiert, für seine Zwecke missbraucht dargestellt. Menschen und Tiere werden meist undifferenziert als Beute gezeigt. Parallelen zwischen Jagd und Fotografie (schießen) sind beabsichtigt. Ausgangspunkt für diese Arbeit ist die Geste von Leni Riefenstahl bei den Nuba aus der Fotoserie Leni. Dieses Bild kommt auch in Meine erste Löwin wieder vor.
Tatiana Lecomte geht es um die Bilder. Sie möchte keinen moralischen Kommentar abgeben, sondern danach fragen, wie diese Bilder – auch in den RezipientInnen – produziert und reproduziert werden. Ist das, was wir hier sehen die Bestätigung dessen, was wir uns seit Generationen unter Afrika vorstellen?
Roswitha Muttenthaler und Regina Wonisch schrieben in „Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen“ [1]: „Museen schaffen demnach nicht nur Bilder, die gesellschaftlichen Normen entsprechen, sondern thematisieren auch Verborgenes. Denn sie repräsentieren nicht nur das, was zu sehen ist, sondern auch, was dem öffentlichen Diskurs und der Wahrnehmung entzogen werden soll und damit ausgeschlossen wird. […] Dabei haben sie Ein- und Ausschlussmechanismen produziert, die entsprechend dem Denken der Moderne auf dichotomischen Gegensätzen basierten. Identitätskonzepte beruhen zumeist auf der Konstruktion von Differenz, wobei Identität in Abgrenzung zu einem Anderen, das zumeist als Negation gedacht ist, definiert wird. So werden beispielsweise sexuelle oder ethische Identitäten durch Prozesse der negativen Differenzierung im Feld des Sichtbaren geprägt: Weiße brauchen Schwarze, um sich selbst als weiß zu definieren, Männlichkeit braucht Weiblichkeit, um sich selbst als männlich zu konstruieren etc. Bestimmte gesellschaftliche Gruppen oder Kulturen wurden von Repräsentationspraktiken entweder ausgeschlossen oder als Andere markiert. […] Vor dem Hintergrund kollektiver Identitätspolitiken wurde das Feld des Sehens zu einem umkämpften Schauplatz, wo es darum ging, instabile Normen andauernd und vehement zu verfestigen.“ Tatiana Lecomte sind diese Mechanismen bewusst und sie montiert assoziativ Bildstrecken, die die Rezipientinnen einerseits in ihren tradierten Sehgewohnheiten zu bestätigen scheinen und andererseits durch Brüche und Irritation aufzurütteln vermögen. Sie öffnet die Erzählung für Mehrdeutigkeiten, die sich oftmals zwischen den Bildern finden.
Die El-Alamein-Stellung ist eine Montage, die im Oeuvre von Tatiana Lecomte Vorläuferin für Meine erste Löwin ist. Es handelt sich auch hier um eine Diainstallation, die an einen Diavortrag – also an etwas Dokumentarisches, Didaktisches, Aufklärerisches – erinnert. Seit 15 Jahren schon ist die Künstlerin in Besitz eines Diakoffers, den sie auf dem Müll gefunden hat. Es geht um „FKK am Strand von El-Alamein“. Der Mann, der die Fotos gemacht hat, hat seine Partnerin in verschiedenen erotischen Posen nackt am Meer fotografiert. Die Art der Fotografien deutet darauf hin, dass sie in den 60er Jahren entstanden sein könnten. El-Alamein in Ägypten war aber auch Kriegsschauplatz. 1942 fanden hier während des Afrikafeldzuges Kämpfe zwischen der deutsch-italienischen Panzerarmee und der 8. Britischen Armee statt. Die Künstlerin überblendet eine private mit der Weltgeschichte. War der Hobbyfotograf, von dem die Künstlerin weiß, dass er obsessiv sein Bildmaterial nicht nur archivierte, sondern auch immerfort in die jeweils neuesten Medien – er fotografierte Super8 und diverse Videoformate ab – übertrug, bereits als Soldat hier? Auch für Tatiana Lecomte sind diese Übersetzungsprozesse zentral und die analoge Reprofotografie ist für sie eine wichtige Technik: Sie fotografiert seine Bilder ab, wählt zum Teil andere Ausschnitte und geht näher an verschiedene Details heran. Sie recherchiert in Büchern und fotografiert daraus Kartenmaterial und historische Abbildungen aus den kriegerischen Auseinandersetzungen ab. Gemeinsam mit Bildern aus dem Archiv der Künstlerin, die sich in Die El-Alamein-Stellung auch selbst einbringt, entsteht so der Grundstock für eine assoziativ, aber dennoch akribisch ausgewählte Abbildungskette. Die Geste des Zeigens wird hier dadurch deutlich gemacht, dass jedes Foto an der rechten unteren Ecke gehalten wird. Sie erinnert an das Umblättern und so erzeugt die Künstlerin sowohl die Anmutung eines Fotoalbums als auch eine stärkere Involviertheit des Betrachters/der Betrachterin. Es wird gezeigt, dass etwas gezeigt wird. Die Bilder sind dadurch so etwas wie Beweismaterial und suggerieren einen hohen Wahrheitsgehalt.
Karin Gludovatz fragt in „Nichts als die Wahrheit“, Texte zur Kunst, Heft 51: „Bilder sind Dinge des Erinnerns, und perfiderweise dienen sie ebenso der Evokation schöner Ereignisse, wie sie die Wiederholung schrecklicher Geschehnisse durch ihre mnemotechnische Funktion verhindern sollen. Dem dokumentarischen Bild wird darüber hinaus – ungeachtet dieser Dialektik – in der privaten wie öffentlichen Geschichtsschreibung besondere Evidenz zugesprochen. Bilder als Zeitzeugen?“ [2]
Tatiana Lecomte bezieht in beiden Diainstallationen nicht direkt Stellung. Sie hält sich im Dazwischen auf, konstruiert etwas Erzähltes, das auf subtile und dadurch eindrückliche Weise die Macht der Bilder erfahrbar werden lässt. „Fotografie repräsentiert trotz besseren Wissens immer noch die Wirklichkeit, sie konfrontiert den Betrachter mit Fakten. Sie ist eine Behauptung des Fotografen. Manchmal kleidet sich diese These in eine Erzählung, manchmal handelt es sich augenfällig um Fiktion. Der Fotograf kann mehr oder weniger persönlich involviert sein, erzählt eine Geschichte oder überlässt dem Betrachter seine eigenen Assoziationen und Anknüpfungen.“[3] Das trifft auch auf Tatiana Lecomte zu, nur, dass sie die Verwertung, multiple Reproduktion, Gültigkeit und die unterschiedlichsten Verwendungszwecke der Bilder gleich mitdenkt und zum Inhalt ihrer Arbeit werden lässt.
Am Ende der Ausstellung geht es wieder um Afrika. Aus einem 1000teiligen Puzzle eines bekannten Spielwarenherstellers, das eine „African Beauty“ - eine junge schwarze Frau mit traditionellem Körperschmuck – zeigt, hat Tatiana Lecomte das Portrait zusammengebaut, aufkaschiert und hinter Glas gebannt. Das unvollständig und lückenhaft ausgeführte Puzzle lässt das Bildnis der Afrikanerin wie ein Mosaik aussehen. Die „museale“ Präsentation evoziert den Eindruck es sei aus der Zeit gefallen und somit ewig gültig. Wird hier ein Klischee reproduziert?
1 Roswitha Muttenthaler, Regina Wonisch, Gesten des Zeigens. Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen, Bielefeld 2006, S.13f
2 Karin Gludowatz, Grauwerte, Ein Projekt von Klub Zwei zum Gebrauch historischer Dokumentarfotografie, in: Texte zur Kunst, September 2003, 13. Jahrgang, Heft 51, Nichts als die Wahrheit, S. 59
3 Gabriele Wagner, "Eigentlich sind es so gesehen reine Bilder, fast schon gegenstandslos ... ", in: David Steinbacher, Plenarsäle, Wörgl, 2012, S.12
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